Quelle in Buchformat: | Christenbote 1852; No.13; Seiten 147-152 |
Quelle in elektronischem Format: | http://www.luther-bibel-1545.de. Hier verwendet mit Erlaubnis von Michael Bolsinger vom 19.8.2000. |
Informationen zu Karl Joseph Rieger, dem Vater von Carl Heinrich Rieger, der ebenso ein bekannter Prediger war, finden sich im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon unter http://www.bautz.de/bbkl/r/rieger_g_k.shtml.
Der barmherzige Gott und Liebhaber des Lebens hat mich das Licht der Welt durch meine leibliche Geburt erblicken lassen in Stuttgart, den 19.Juni 1726. Mein Vater war M. Georg Cunrad Rieger, damaliger Professor Gymnasii und Mittwochsprediger, zuletzt aber Spezialsuperattendens und Hospitalprediger daselbst; meine Mutter aber Regina Dorothea, eine geborene Scheinemann. Diese meine lieben Eltern haben sogleich für meine geistliche Wiedergeburt durch die heilige Taufe gesorgt [DAS GLAUBEN WIR NICHT; Anm.], dabei mir der Name Carl Heinrich beigelegt worden.
In dieser durch die heilige Taufe erlangten teuren Gnade Gottes hätte ich wohl können bewahret werden, da mir bei der guten Auferziehung in meines Vaters Hause feine Gelegenheit gegeben wurde, meinen Gott von der ersten Kindheit an zu fürchten, wie denn auch der Herr mein Herz bis in die Jünglingsjahre hinein gar fleißig mit seiner Furcht gezüchtiget und damit meinen Ausschweifungen Einhalt getan hat.
Zur Erlernung nötiger Sprachen und Wissenschaften wurde bei Zeiten der Anfang gemacht, sowohl durch einige Privatinformatoren als auch durch öffentlichen Unterricht in den Klassen des fürstlichen Gymnasiums. Meine Neigung ging beständig, ohne grad zu wissen warum, darauf, die Theologie zu studieren.
Zur Ausführung dieses Vorhabens ließ es sich auch ernstlich an durch meine im Oktober 1738 geschehene gnädigste Reception in das Kloster Blaubeuren. Ich bekam bei einer gewissen Gelegenheit damals die Worte Jesajas 56,3-6 unter die Hand, die mir nach der von meinem Vater hierüber gegebenen Erklärung ein rechtes Prognostikon auf meine Begebnisse waren, soviel ich bisher davon erfahren.
Bei meiner kurz vorher geschehenen Konfirmation gab mir mein lieber Vater in einem schriftlichen Aufsatz folgende Erinnerung, sonderlich mein vorhabendes Studium theologicum betreffend:
"Du bist dem Dienst der Kirche gewidmet; mich dünkt, der Herr habe dich hiezu erkoren, du sollest ein Gefäß seiner Gnade und ein Werkzeug Seiner Hand an der Gemeinde werden. Ach wie sollst du dich bei Zeiten reinigen von aller Befleckung der Welt, um ein geheiligt Gefäß zu sein zu den Ehren dem Hausherrn bräuchlich und zu allem guten Werk bereitet. Darum fleuch die Lüste der Jugend. Jage aber nach der Gerechtigkeit, dem Glauben und der Treue, der Liebe, dem Frieden mit Allen, die den Herrn anrufen von reinem Herzen. Und da ich nicht weiß, ob ich den Anfang, geschweige den Fortgang und Ausgang dieses deines studii theologici erleben werde, so ermahne ich dich, dabei nicht gute Tage, Ehre und Güter zum Zweck zu haben, sondern allein die Ehre Gottes, das Reich deines großen Heilandes JEsu Christi und das Heil der Seelen. Alsdann sei getrost und fürchte dich vor keinen Hindernissen, Schwierigkeiten und Gefahren. Gott der dich rufet und dessen du bist, wird dich schon führen, fortbringen, segnen und eines Plätzleins würdigen."
Unter solcher Vorbereitung kam ich also in das Kloster Blaubeuren und daselbst unter die treue Aufsicht des Herrn Prälaten Johann Christian Lang und der beiden Herren Klosterpräzeptoren Johann Cunrad Ergenzinger und Johann Andreas Hochstetter. Die Treue sonderlich der beiden ersteren, ihr väterlicher Sinn, mein und Anderer wahrhaftiges Beste zu suchen, ihr Ernst, uns zur herzlichen Furcht vor Gott anzuweisen, hat sich nicht nur bei meiner Anwesenheit in gedachtem Kloster vielmals nachdrücklich an meinem Herzen legitimirt, sondern auch noch bis jetzo ein dankbares Angedenken bei mir zurückgelassen.
Nach zwei Jahren, nämlich im Jahr 1740, wurde ich an das höhere Kloster Bebenhausen promoviert, wo ich unter die Aufsicht des Herrn Prälaten Christ. Friedrich Stockmaier und der beiden Herren Klosterpräzeptoren Christ. Friedrich Sartorius und Jakob David Essich kam. Aber bei diesem Schritt brachen die Lüste der Jugend zur vollen Herrschaft durch; Befleckungen des Fleisches und des Geistes vertrieben den guten Geist aus Gott und machten meine arme Seele zu einer unreinen Behausung böser Geister, die mich mit einem Strick nach dem anderen fesselten.
In solcher Knechtschaft kam ich im Jahr 1742 in noch weitere Freiheit auf die Universität zu Tübingen in das dortige fürstliche Stipendium, woselbst ich mich noch weiter von der Zucht des HErrn verlief.
Im Frühjahr 1743 machte mir zwar der HErr ein gewaltiges Denkmal durch den frühzeitigen Tod meines lieben Vaters, warf mir auch dabei durch die letzten zärtlichen Liebesbezeugungen und Erinnerungen meines sterbenden Vaters und andere erweckliche Umstände recht vielfache Liebespfeile an, mein Herz zu sich zu ziehen; aber das blieb gegen das Eine wie gegen das Andere unempfindlich, ja meines Vaters Tod hatte zuletzt gar die Wirkung, daß ich mich bei meinen ausschweifenden Lüsten desto weniger scheute, sondern frecher darein ging.
Inzwischen kam die Zeit herbei, daß ich im Jahr 1744 nach angenommenem gradu magisterii das Studium theologicum antrat. Und von da an mag nach und nach die Stimme Gottes in meinem Gewissen wieder mehr Nachdenken verursacht haben, daß ich mir über meinem Sündendienst, sonderlich dem Laster der Trunkenheit und Sünden der Unreinigkeit oft innigst zum Abscheu worden bin und nach Erlösung schrie, auch vielmals, sonderlich bei Anderer Herumholung aus dem Verderben, bei mir gedachte, ich wolle und werde mich doch auch einmal bekehren. Inzwischen sind doch mehr als zwei Jahre über diesem faulen Wünschen fruchtlos hingegangen.
Gegen das Ende des Jahres 1746 gingen die Aufforderungen noch stärker an mein Herz als sonst. Dazu kam noch die besondere Gelegenheit, daß ich über die Christfeiertage gedachten Jahres nach Ehningen, Pfullinger Amts, geschickt wurde, dem dortigen Herrn Pfarrer Johann Friedrich Gentner in seiner Kirchenarbeit zu assistieren. Ich wollte bei all meiner eigenen Blindheit doch nicht nur zum bloßen Brauch predigen, sondern stoppelte Alles, was ich von meiner Auferziehung oder aus Büchern oder anderswoher Reizendes wußte, zusammen, um Nachdenken und Bewegung bei meinen Zuhörern zu verursachen. War ich aber von der Kanzel hunten, so konnte ich nicht mit dem Allerunerfahrensten nur ein Wort über die Wahrheiten reden, womit ich mich auf der Kanzel so breit machen konnte. Das beschämte mich innigst, weil ich da meine zerrütteten Sinne, mein ödes, leeres Herz so gar mit Händen greifen mußte. Das war auch die erste Gelegenheit, durch welche ich auf die Erkenntnis meines ganzen Verderbens geführt wurde. Doch kam ich nach den Feiertagen wieder ins Stipendium nach Tübingen zurück, ohne daß was Weiteres mit mir wäre vorgegangen gewesen. Aber der, der nicht Gefallen an meinem Tode hatte, sahe doch, daß nunmehr die Stunde gekommen, darin Er sein Erbarmen über mich groß machen könnte. Und das hat Er auch getan, so daß ich von dem, was in den ersten Wochen des Jahres 1747 mit mir vorgegangen, nichts sagen kann als: HErr Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen. Ich kann auch Sein Verschonen nicht genug preisen, wodurch Er mir diesen Überschritt aus der Finsterniß an das Licht auf vielfache Weise erleichtert und versüßet, auch meinen Ernst durch eine fast zu gleicher Zeit im Stipendio geschehene merkliche Erweckung geschärfet und unterhalten hat, sonderlich daß ich unter die Hände guter Führer und in den Umgang einer mir beständig teuren Seele gekommen bin. Ich wurde auch beizeiten nach vorhergegangener redlicher, doch in vieler Freundlichkeit vorgenommener Zerknirschung meines Herzens solcher köstlicher Erquickungen von dem treuen Liebhaber meiner Seelen gewürdiget, die zumalen so ein unfehlbares Siegel ihres göttlichen Ursprungs in Zerschmelzung meines ganzen Sinns bei sich hatten, daß ich mich inzwischen nichts mehr dergleichen genossen zu haben erinnere. Weil ich aber teils von meinem vormaligen Studieren, teils von meiner Auferziehung her manche Erkenntnis auch von den inneren Wegen des Christenthums zu haben meinte, nach denen ich mich achten und führen wollte, so habe ich diese lauteren Bächlein bald trüb gemacht und mich in meiner Weisheit so verwirrt, daß ich lang daran zu dauen hatte.
Gegen den Ausgang des Jahres 1747 wurde ich in dem fürstlichen Consistorio zu Stuttgart examiniert, und noch einige Wochen vorher übergab mir Herr Senior Urlsberger in Augsburg seinen einzigen Sohn, den er damals auf die Universität zu Tübingen tat, in die Aufsicht und Information. Weil es mir aber an einem im Blut JEsu gereinigten und vollendeten Gewissen fehlte so brachte ich selbige meiste Zeit von zwei Jahren in Mißvergnügen über mich oder Andere hin, ob es schon dazwischen hinein auch manche Zeit der Erquickung gab, und habe bei meiner Morosität, häufigen Anklagen darüber, auch daher entstehender ungleichen Conduite gegen meinen anvertrauten jungen Herrn, wenig Gutes an ihm ausgerichtet. Ach Herr, was versäumet ist, ersetze Du selbst!
Im Oktober 1749 verwechselte ich unter der guten Führung Gottes meine bisherige Stelle und Aufenthalt in Tübingen mit dem Vikariat in Brenz, Heidenheimer Amts, bei dem dortigen Herrn Pfarrer Georg Ulrich Raith. Die Liebe zu meiner Arbeit gegenüber meiner vormaligen Vervielfältigung, der häufige Umgang mit dem Worte Gottes, die vielfältige, ungekünstelte Betreibung desselben an Anderen im Predigen und Catechisieren, der Umgang mit Seelen mancherlei Art, sonderlich mit Sterbenden und mit Kindern, der Eingang, den der HErr seinem Wort durch meinen Dienst hie und da schenkte, gingen freilich nicht ohne Stärkung meines Herzens in der Erkenntnis Jesu Christi aus dem Evangelio ab; doch blieb eine besondere Härtigkeit des Sinnes in mir übrig, die mich stets zu vieler geheimen Ungeduld und Unbilligkeit reizte, wodurch ich mich nicht wenig entkräftete, ja ich habe oft gedacht, ob ich nicht durch mein Nachlassen von der ersten Liebe gegen meine Zuhörer meinen Herrn gereizet habe, mich so bald und auf eine mir so empfindliche Weise davon zu versetzen.
Denn gegen Ende des Jahres 1750 wurde ich zur Repetentenstelle in dem fürstlichen Stipendio zu Tübingen berufen, ohne daß meine Ordnung, noch Studieren, noch jemals gehabte oder auch nur von Anderen gegen mich geäußerte Absicht mich was dergleichen hätte können vermuten lassen.
Was Menschenhände und Absichten dabei getan haben, kann und will ich nicht beurteilen; der gute Rat des HErrn, auch aus diesem Krummen ein Gerades herauszubringen, offenbarte sich nach und nach, da ich über einer Arbeit, der ich nirgends gewachsen war, desto tiefer in Demut und in lauteres Vertrauen auf die Hilfe des HErrn, über der Notwendigkeit, mit Anderen umzugehen, desto mehr in langmütige Geduld, über der Falschheit, Heuchelei oder auch Trotz der Welt, wovon ich auch manchmal Etwas zu schmecken bekam, in die selige Notwendigkeit, mich mit ganzer Glaubenskraft ihr entgegenzusetzen, durch den wieder erneuerten Umgang aber mit meinen Verbundenen in Tübingen auf tiefere Erkenntnis von manchem, auch über meinen anderen Geschäften zuweilen in manche gesegnete Forschung der Wahrheit geführt wurde. - Im Oktober selbigen Jahres wurde ich durch den Heimgang meiner Mutter in den völligen Waisenstand gesetzt.
Im Jahr 1751 machte ich drei oder vier Monate lang eine kleine Reise durch einige Orte Deutschlands, wo mir sonderlich das Werk des HErrn, wie es in Halle, Kloster-Bergen, Wernigerode und anderer Orten getrieben wird, einen gesegneten Eindruck und Angedenken gemacht hat. Sonderlich bemerkte ich Manches, was zu gründlicher Beurteilung der neuerlichen Erscheinungen in dem Reich Christi dienlich sein konnte, und wie man sich durch die bekannten leidigen Streitigkeiten ja nicht von fleißiger Übung bei sich selber und Treibung an Anderen, das Wort von der Versöhnung durch JEsu Blut betreffend, solle abhalten lassen. Und so sind auch diese Wege zur Förderung meiner Erkenntnis an dem Evangelio JEsu Christi und zu meiner Gründung und Wurzelung in ihm ausgeschlagen.
Von da an bin ich wieder an meine Repetentengeschäfte am Stipendio und an der Kirche zu Tübingen gegangen, und habe meist nur den Mangel der Liebe und vertraulichen Umgangs, der Bestrafung und Zurechtweisung bedauert, der bei dem vielen Triebe einer solchen Anstalt den meisten Segen vernichtet, bis ich im Juli 1753 nach Stuttgart berufen worden, an den dortigen Kirchen als Vikarius zu dienen. Das Verschonen, womit der liebe Gott mir auch diese Veränderung erleichterte, die Handreichung Anderer, die Er mir je und je zugehen ließ, erkannte ich dankbarlich; aber die an sich zwar kleine, für meinen armen Geist doch genug beschwerliche Erfahrung von dem Lauf dieser Welt erweckte manch sehnliches Verlangen abzuscheiden und bei Christo zu sein. Statt dessen aber würdigte mich der Herr im August 1754 eines ordentlichen Berufs in seinen Weinberg, und zwar auf das zweite Diakonat an der Stadtgemeinde zu Ludwigsburg, worauf ich am 1. September, als dem 12ten Sonntag nach Trinitatis, die gewöhnliche Antrittspredigt tat, am 20sten Sonntag nach Trinitatis aber in die Amtsführung selber eintrat, und am 22sten Sonntag nach Trinitatis von meinem Herrn Dekan Sartorius ordinirt und eingesegnet wurde. Bei dem in solchen Umständen mir nötig gewordenen Heiratsgedanken ließ mich der treue Vater im Himmel die Wahrheit seines Wortes reichlich genießen: "Der Herr behütet die Einfältigen," und bescherte mir nach reifer, doch ohne kümmerliche Ängstlichkeit getroffenen Wahl eine erwünschte Gehilfin an damaliger Jungfer Maria Sophia Beata, Herrn Gottlieb Jakob Bischof, Gerichtsverwandten und Stadtapothekers eheliche Tochter, mit welcher ich am 20ten November in der Stadtkirche in Ludwigsburg getrauet worden. Der Herr lasse es uns noch, wie bisher, treulich genießen, was in selbigen Tagen und nächsten im Gebet vor Ihm kund worden ist.
Den ersten Segen aus dieser Ehe bescherte uns der Liebhaber des Lebens den 6.Oktober 1755 an einem Söhnlein, dem noch selbigen Tages in der heiligen Taufe der Name Gottlieb Heinrich gegeben wurde, dem den 7. Januar1757 ein Brüderlein folgte, Namens Christian Friedrich, denen beiden der Herr ihr Gott sei immer und ewiglich!
Bei meiner Amtsführung in Ludwigsburg ließ es der gute Gott an Offenbarung der Wahrheit bei Mancher Gewissen nicht fehlen, lenkte auch Anderer ihren Widerspruch und Widerstand immer zum Besten und bescherte manches Zeugnis der Wahrheit, so ihm und seinem Geist zur Erreichung weiterer Frucht an den Seelen herzlich anbefohlen seie. Die Zeit meines Aufenthalts in Ludwigsburg war mir kurz zugemessen, indem ich gegen Schluß des dritten Jahres meiner dortigen Amtsführung den unvermuteten Ruf zu der erledigten Hofkaplanstelle in Stuttgart bekam, dem ich in Einfalt folgte, und mein Amt in Ludwigsburg mit einer am 23ten Sonntag nach Trinitatis (1757) gehaltenen Abschiedspredigt niederlegte, und mein neues in Stuttgart am 1. Advent im Vertrauen auf den HErrn antrat.